Hölderlin als Türöffner

Im Rahmen des Filmfestivals Cologne (ffcgn) fand am 24.10. im Filmpalast am Hohenzollernring eine Vorpremiere des Filmes Werner Herzog – Radical Dreamer statt. Nach der Vorführung des Films stand Regisseur Thomas von Steinaecker dem Publikum Rede und Antwort.

Befragt nach dem Zustandekommen der höchst intensiven Zusammenarbeit berichtet er, er habe den Kontakt einfach über die Mailadresse auf der Homepage der Werner Herzog Filmproduktion gesucht. Am nächsten Tag habe ihn Lucki Stipetić, Herzogs Bruder und Produzent, angerufen und Interesse an der Zusammenarbeit bekundet. Aufgrund der Covid-Einschränkungen fand daraufhin der erste persönliche Kontakt mit Werner Herzog per Skype statt. „Wie erzählt man dem jetzt in zwei Minuten wer bin ich eigentlich und warum bin ich so toll, dass man ein solches Projekt mit mir machen soll? Er kannte mich ja überhaupt nicht … Und ich habe mir gedacht, ich schicke ihm im Vorfeld des Gesprächs zwei meiner Romane, ich bin ja hauptsächlich Schriftsteller, und ich wusste, dass er ein großer Leser ist, und ich bin auch ein großer Verehrer seiner Bücher. Er sagt ja auch selber, dass seine Bücher ihn überdauern werden und nicht die Filme. Im Vorfeld des Skype-Gesprächs hatte er tatsächlich die beiden Romane gelesen und wollte sich mit mir über Literatur, beispielsweise über Hölderlin unterhalten, und dann haben wir zwei Stunden über Hölderlin und über Tolstoi gesprochen, gar nicht so viel über den Film, und irgendwann hat er dann gemeint, ‚ok, dann mach mal‘.“

Zu den Spielregeln der Zusammenarbeit berichtet von Steinaecker: „Meine Bedingung war, dass er sich nicht einmischt. Das kann man sich ja denken, dass wenn man mit einem großen Regisseur dreht die Gefahr besteht, dass er sagt, ok, die Kamera stellen wir jetzt da hin, und er übernimmt sozusagen, oder später, wenn ich ihm den rough-cut zeige (das hat er nicht gefordert aber für mich war es einfach ein Frage des Anstandes, nachdem er sich so geöffnet hat), dass er dann nicht sagt, das muss raus oder das nach vorne … das war von Anfang an klar, dass wir uns gegenseitig vertrauen, sonst wäre es nicht zu diesem Film gekommen. Ich habe auch von Anfang an gesagt – das war im Prinzip seine Bedingung, die ich dann vorweggenommen habe – dass mich das ganze Privatleben, die ganzen Frauen und Kinder, für den Film nicht interessiert, weil das für die Werkdarstellung in meinen Augen keine Rolle spielt.“

Von Steinaecker berichtet, dass er vor dem ersten Gespräch via Skype so aufgeregt war wie noch nie, obwohl er doch schon einige Filme gemacht und große Persönlichkeiten interviewt hat, denn „da hing der ganze Film dran (…) Und ich hatte diese Bilder von ihm, die wir wahrscheinlich alle in Deutschland so ein bisschen haben, der irgendwie Wahnsinnige oder Unberechenbare, aber man verwechselt ihn wohl auch oft mit Kinski … und so war er dann auch überhaupt nicht, innerhalb von fünf Sekunden war das Eis gebrochen, vielleicht haben wir auch einfach gemerkt, wir haben uns irgendwie intuitiv getroffen, zu mir war er nie von oben herab oder cholerisch, es war eine wunderschöne Zusammenarbeit.“ Bei der inhaltlichen Gestaltung „hat er sich mir einfach anvertraut. Es war klar, dass diese Kindheit, die für mich den Kern dieser Figur ausmacht, das klingt ja wie ein Märchen, drei Brüder wachsen irgendwo im Tal auf, das kann man nicht erfinden, und weil er auch immer darüber gesprochen hat, wie wichtig ihm das ist, und dass er da jedes Jahr hinfährt, war klar, dass ich da mit ihm drehen muss. Und natürlich auch bei ihm zuhause in Los Angeles. Und einige Sachen haben sich ergeben, beispielsweise der Workshop auf Lanzarote war ein glücklicher Zufall, oder diese Tagebücher von Fitzcarraldo, die für Menschen die sich mit Herzog beschäftigt haben ein großes Dokument sind, das war dann in Los Angeles, er war gut drauf und ich dachte mir, frag doch mal, ob er die herzeigt, und dann war es völlig unkompliziert, er hat sie aus dem Safe geholt und dann haben wir halt gedreht.“

Auf die Frage, ob man bei diesem großen Werk von einem bestimmten Stil, einer typischen formalen Sprache sprechen könne, äußerte von Steinaecker „Mein Eindruck ist, es hat sich ein bisschen verlagert. Am Anfang steht die Suche nach den gesehenen Bildern, beispielsweise das Eingangsbild von Aguirre oder der Dampfer der über den Berg gezogen wird, diese Suche hat glaube ich im Lauf der Zeit nachgelassen. Hervorgetreten ist stattdessen dieser Dokumentarfilmstil, hier ist dann nicht primär die Suche nach nie gesehenen Bildern, sondern seine Präsenz als Erzähler, der Material, das vielleicht gar nicht so ansehnlich ist, durch seine Erzählung zusammenhält; er ist einfach ein begnadeter Erzähler, vielleicht wird das Literarische dominanter … er hat ja von Anfang an in verschiedenen Medien gearbeitet, nicht nur Spielfilme, sondern auch Dokumentarfilme gedreht und auch Bücher geschrieben, weil er eben einfach ein Erzähler ist.“

Steinaecker betont auf eine Frage aus dem Publikum hin, dass die Interviewfragen nicht mit Werner Herzog abgesprochen gewesen seien. „Wenn man so zehn Interview mit ihm gesehen oder gehört hat, dann weiß man ungefähr wie er auf welche Frage antwortet. Daher wollte ich Situationen herstellen, in denen er spontan reagieren muss. Wir haben immer recht spontan agiert, beispielsweise als wir zum Wasserfall gegangen oder zum Skispringen der Kinder gefahren sind, da brach dann auch gewissermaßen das Eis, das hat ihn so dermaßen gecatched, ich wollte da eigentlich nur ein paar Schnittbilder drehen, aber er wollte da gar nicht mehr weg, er war so begeistert, und das spürt man glaube ich auch in dem Film. Das ist nicht gespielt, das war authentische Begeisterung, zu jedem Kind hat er was gesagt, und dann den Trainer so sanft zur Seite gestupst und dann quasi übernommen.“

Auf die Frage, was ihn denn trotz intensivster Vorbereitung beim Drehen überrascht habe, berichtet von Steinaecker, Werner Herzog habe „so etwas Nachdenkliches gehabt. Auch wenn er über Fitzcarraldo spricht, war da schon eine leichte Melancholie zu spüren. Besonders beeindruckend fand ich den Workshop auf Lanzarote, das waren etwa 50 Teilnehmer, und jeden einzelnen hat er betreut, zehn Tage lang. Ein unglaubliches Pensum bei 40 Grad. Wie begeistert er ist einfach vom Filmemachen, er hat sich da auch komplett zurückgenommen und sich einfach in den Dienst der Sache gestellt, auch bei Filmen die mit seinem Stil gar nicht zu tun hatten und die ihm vielleicht auch gar nicht so gefallen haben, aber er hat immer versucht für jedes Projekt genau das Beste herauszuholen, und das hat mir unglaublich imponiert, weil spürbar war, so wie er für seine eigenen Filme brennt, brennt er für alles, was mit Film zu tun hat. Oder als ich ihm im Frühjahr den rough-cut gezeigt habe, da war er gerade in der Steiermark in so einer ganz wilden Hütte in den Bergen, da hatte ich echt Angst, weil ich da auch schlafen sollte, und ich dachte mir, was ist wenn ihm der Film nicht gefällt und ich schlafe da und kann nicht weg … Lena war dann auch da, und wir haben das zu dritt angeschaut, irgendwann hat er dann ganz laut gelacht und ich wusste ok, es passt, und danach hat er direkt gesagt ok, nun schauen wir es uns noch einmal an und ich sage dann was dazu, und ich hatte Angst, dass er sagt da muss was raus, da gefalle ich mir nicht oder so etwas, aber alles was er dann gesagt hat, das war bei der Aguirre-Sequenz ‚lass die drei Sekunden länger stehen, weil da kommt dann irgend so ein Typ von unten und das ist das Eindrucksvollste überhaupt‘, oder bei Sachrang der Flug mit der Drohne, nimm zwei Sekunden weg weil die Erzählung noch nicht zu Ende ist, sonst entsteht da ein zu großes Loch. Man merkte er hat eine wahnsinnige Intuition, und es waren nur so technische Sachen, er hat sich selbst völlig zurückgenommen, nur für das Projekt, und das fand ich sehr eindrucksvoll.“

Eine junge Frau aus dem Publikum merkt an: „Ich studiere Filmwissenschaften hier in Köln. Das erste mal, dass ich etwas über Werner Herzog gehört habe, war bei einem Auslandssemester in Indien.“ Gefragt danach, ob von Steinaecker in seiner Arbeit eine Chance sieht, den verlorenen Sohn des deutschen Kinos wieder mehr in das Bewusstsein der Deutschen zu bringen, gibt er sich bescheiden: Zum 80. Geburtstag sei ja ohnehin mit der Ausstellung in der Berliner Kinemathek und der Autobiographie viel Aufmerksamkeit geweckt worden, ob da der Film noch mehr leisten könne sei zu hoffen, aber ungewiss.

Gefragt nach der Vollständigkeit seines Projektes räumt Thomas von Steinaecker ein: „Natürlich ist es nicht der komplette Herzog, den wir da sehen. Mir war wichtig, nicht ein Sachbuch zu machen, sondern eine Ballade, Werner Herzog ist für mich irgendwie eine poetische Figur, und diese Poesie wollte ich in den Film übertragen. Deswegen auch kein Anspruch auf Vollständigkeit … wenn da irgendetwas von der Poesie dieses Mannes rüberkommt bin ich schon glücklich.“ Eine Aussage, für die es großen Beifall und Zuspruch vom Publikum gibt.


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